Eine Kultur des Hinsehens: RESILIENZ GEGEN RECHTS

In der Polizei in NRW wurde es offengelegt: Seit 2017 wurden in der Polizei des Landes 100 und im Ministerium des Innern vier Disziplinarverfahren wegen einer „rechtsextremen Verdachtslage“ gegen Beamte und Tarifbeschäftigte geführt.

Diese Zahlen spiegeln lediglich die rechtsextremen Tendenzen einschließlich der „Reichsbürger“ wider, die bei der Polizei in NRW entdeckt wurden. Und die Vorfälle waren so konkret, dass ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist. Nicht erfasst wurden die Fälle rassistischer Tendenzen Einzelner im Polizeialltag. Zu vermuten ist, dass es auch dort eine erhebliche Dunkelziffer geben dürfte.

Nun steht die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen im besonderen Fokus. Sind die Polizeien der anderen Bundesländer oder des Bundes deshalb weniger von solchen Vorfällen und Beamten mit menschen- und demokratiefeindlichen Einstellungen betroffen? Auch hier steht zu vermuten, dass das eher nicht der Fall sein dürfte.

Wie hoch ist wohl die Anzahl derjenigen, die ihr Amt und ihre Autorität für undemokratische, menschenverachtende und herabwürdigende Handlungen ausnutzen? Die große Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten sind sicher nicht zur Polizei gekommen, um Macht zu haben und Dominanzgehabe ausleben zu können, sondern weil sie etwas sehr Konkretes für die Gesellschaft tun möchten, hilfsbereit sind oder gern Kontakt zu Menschen haben – ohne diese dominieren zu wollen. Es ist grob falsch und gar nicht hilfreich, den Polizeibeamtinnen und -beamten einen „latenten Rassismus“ zu unterstellen.

Pauschalverdacht ist nicht hilfreich

So massiv zu vereinfachen und undifferenziert eine ganze Berufsgruppe unter Generalverdacht zu stellen ist zwar populär, führt aber nicht zu einer konstruktiven Lösung. Mit solchen schlichten Rollenzuweisungen schafft man Gruppensolidarität.  Die deutliche Mehrzahl der deutschen Polizeibeamten macht einen guten und verantwortungsbewussten Job, ist nicht rassistisch und auch nicht rechtsradikal, sondern steht mit beiden Beinen auf der Verfassung und den Gesetzen und handelt danach. Diese Gruppe muss sich nun aber ständig erklären und versichern, auch wirklich nicht rassistisch oder rechtsradikal zu sein.

Aber ja, es gibt sie, die Rechtsradikalen und Rassisten in den Reihen dieser demokratischen Polizei –  wie auch in unserer Gesellschaft. Das ist keine wirklich große Überraschung, bilden die Angehörigen der Polizei doch alle Facetten unserer Gesellschaft ab. Diese dunklen Facetten also auch. Die Frage ist nur, wie mit diesen Facetten in der Polizei umgegangen wird. Werden sie zugedeckt oder wird versucht, sie neu zu polieren und an das Licht zu bringen?

Die Spreu vom Weizen trennen

Diese Aufgabe kann nicht von außen gelöst werden. Hier ist die Polizei selbst gefragt, nicht nur Farbe zu bekennen, sondern auch danach zu handeln.

Jede Polizeibeamtin, jeder Polizeibeamte müsste doch eigentlich ein großes Interesse daran haben, nicht mit den Rassisten und Radikalen „in eine Schublade gesteckt zu werden“ und aktiv dafür einstehen, ihre Organisation davon zu befreien! Die Polizisten, die interne Ermittlungen leiten, müssten eine hohe Wertschätzung und Unterstützung erfahren. Dann wäre es nicht möglich, dass offenbar eine komplette Dienstschicht im rechten Sumpf waten kann und niemand das wahrnimmt und etwas dagegen unternimmt.

Es ist an der Zeit, dass die Kultur des Wegsehens und Gewährenlassens, „weil Kollege“, ein Ende hat und sich flächendeckend das durchsetzt, was es schon in vielen Dienststellen gibt: Menschen innerhalb der Polizeiorganisationen, die couragiert sind und die „Kollegialität“ anders leben. Dienstgruppen, in der es keine Kultur des Wegsehens gibt. Und Polizeiangehörige, die offen Stellung beziehen gegen Kolleginnen und Kollegen, die rassistische Äußerungen oder Handlungen begehen, sexuell übergriffig gegen Kolleginnen werden oder im Einsatz „überzogen“ haben. Und trotz einer solchen „anderen Kollegialität“ können sich diese Polizisten im Einsatz aufeinander verlassen.

In dieser Kultur des Hinsehens ist allen Gruppenmitglieder bewusst, dass unrechtmäßiges Verhalten – welcher Art auch immer – nicht gedeckt wird. Den Angehörigen dieser Gruppe ist von vornherein klar, dass sie nicht auf die Rückendeckung der Kolleginnen und Kollegen vertrauen können, wenn sie „überziehen“, sondern sie ihr Verhalten dann auch selbst verantworten müssen. Hier herrscht eine Kultur, die von der Mehrzahl der Mitglieder getragen wird und die keine Zweifel aufkommen lässt, dass man sich nicht „vor den Karren“ der Kollegen spannen lässt, die ihr dienstliches Handeln von rassistischen, radikalen oder herabwürdigen Einstellungen leiten lassen. Allerdings müssen Vorgesetzte diese Kultur auch zulassen oder – besser noch – formen und fördern.

Führungskräfte haben Schlüsselrolle

Eine Schlüsselrolle in diesem „Kulturprozess“ haben alle Führungskräfte in der Organisation. Sie sind es, die eine Organisationskultur wesentlich prägen und beeinflussen. Diese Vorgesetzten brauchen ein Bewusstsein für ihre Rolle und ihre Verantwortung für diesen Prozess und müssen dies wiederum auch von ihren Mitarbeitenden aktiv einfordern.  Das beinhaltet, dass sowohl Vorgesetzte als auch Mitarbeitende eine Orientierung haben und wissen, welche Erwartungen in sie gesetzt werden, wie der Rahmen gesteckt ist, in dem sich die Organisation und ihre Angehörigen bewegen. Hört sich einfach an, scheint aber schwierig zu sein. Und dann wird es noch unbequemer: Sind Erwartungen formuliert und kommuniziert, erfordert dies einen ständigen Abgleich, ob sich die Mitarbeitenden innerhalb des vereinbarten / vorgegebenen Rahmens bewegen. Ist das nicht der Fall, ist es die Aufgabe der Führungskräfte, unmittelbar zu intervenieren und auch schwierige oder unangenehme Gespräche zu führen.

Dies erfordert neben der Rollenklarheit der Führungskräfte auch ein besonders hohes Maß an Kommunikations- und Sozialkompetenz. Die Zeiten, in denen Befehle von oben nach unten zur Ausführung gesteuert wurden, sind längst vorbei. Allerdings kann manchmal der Eindruck entstehen, dass versucht wird, genau das Gegenteil zu leben: Nur nicht eingreifen in die Individualität und Gestaltungsmöglichkeit des Einzelnen und möglichst nicht anecken bei Mitarbeitenden und Vorgesetzten. Damit überlässt man jedoch die Gestaltungsmöglichkeit den „informellen Gruppenführern“ und denen, die scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme bereithalten.

Wie Dinge in einer Organisation „wirklich gemacht“ werden, liegt nicht an Außendarstellungen oder wohlformulierten Absichtserklärungen. Es sind nicht die Leitbilder – es sind die Vorbilder, die prägend für eine Organisationskultur sind. Es geht darum, welche innere Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen im dienstlichen Alltag wirklich zu erleben sind und nicht welche gerahmt an der Wand hängen. Dabei haben Führungskräfte große Einflussmöglichkeiten darauf, wie „man das hier macht“ und welche Kultur gelebt wird.

Dafür brauchen Führungskräfte Unterstützung. Wohlmeinende Unterstützung durch Vorgesetzte, durch geeignete Seminarangebote, kollegiale Fallberatungen und entsprechende Coachingangebote, damit sie handlungssicher agieren und einer Kultur des Wegsehens nachhaltig entgegenwirken können.

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